Passwortschutz keine Lösung
EuGH spricht Urteil im WLAN-Prozess: Piraten fordern Reform
Keine Digitalstrategie kommt daran vorbei, die Probleme des Urheberrechts anzugehen
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sein Urteil in der Klage des Gautinger Gemeinderats und Piraten-Mitglieds Tobias McFadden zur WLAN-Störerhaftung gesprochen. In seinem Richterspruch ist der EuGH der Empfehlung des Generalanwalts nicht in seiner Gesamtheit gefolgt. Auf einer Pressekonferenz haben am 15. September Tobias McFadden, Nicole Britz, Vorsitzende der Piratenpartei Bayern als Klageunterstützung, Patrick Schiffer, Bundesvorsitzender der Piratenpartei, und Bruno Gert Kramm, Landesvorsitzender der Berliner Piraten, Stellung bezogen.
Aus dem EU-Parlament zugeschaltet war die Europaabgeordnete der Piraten, Julia Reda, die ihre Einschätzung auch vor dem Hintergrund der neuerlichen Forderung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach einem flächendeckenden WLAN in Europa, gab:
"Das Urteil zeigt: Keine Digitalstrategie kommt daran vorbei, die Probleme des Urheberrechts anzugehen. Noch gestern hat EU-Kommissionspräsident Juncker uns versprochen, bis 2020 werden alle europäischen Städte und Dörfer mit freiem WLAN versorgt. Heute macht die Komplexität des Urheberrechts diesem Ziel bereits einen Strich durch die Rechnung: Denn wenn das freie WLAN auch für Geflüchtete und Besuchern zugänglich sein soll, wie von der Kommission angekündigt, kann ein Passwortschutz keine Lösung sein.
Patrick Breyer, Datenschutzexperte der Piratenpartei, reagiert empört auf das Urteil:
"Dieses Urteil schützt zwar WLAN-Anbieter vor Schadensersatzansprüchen, jedoch ist der geforderte Passwort- und Identifizierungszwang vorgestrig und ein technologiefeindlicher Kniefall vor der Urheberrechtslobby. Nach dieser Logik müssten auch Telefonzellen und Briefkästen mit einem Identifizierungszwang versehen werden. Bundesregierung und EU-Kommission müssen diesen Angriff auf offene passwortfreie Internetzugänge abwehren und die gesetzlichen Regelungen ändern.
Ein Identifizierungszwang ist völlig untauglich, um Urheberrechtsverletzungen zu verhindern. Denn auch bei Vergabe eines Passworts ist nicht rückverfolgbar, welcher WLAN-Nutzer eine konkrete Urheberrechtsverletzung begangen hat. Statt offenes WLAN zu verbieten, sollte man den Urhebern beispielsweise durch die Einführung einer Pauschalvergütung ähnlich der Geräteabgabe entgegenkommen und privates Filesharing im Gegenzug legalisieren."
Tobias McFadden erläutert: "Das Urteil ist nicht Fisch, nicht Fleisch. Ich sehe es als Teilerfolg für mein Verfahren an, das jetzt am Landesgericht München weiter geht. Das Urteil wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet. Der Kampf für Freie Netze wird jetzt erst richtig beginnen!"
Ein Zusammenschluss verschiedener Verbände warnte den Europäischen Gerichtshof vor "schwerwiegenden Konsequenzen", sollte er die Schließung offener WLAN-Hotspots verlangen. EFF, Mozilla, die Digitale Gesellschaft und andere weisen darauf hin, dass offene Netze Rettungsdienste unterstützen, im Katastrophenfall hilfreich sind sowie Innovation unterstützen.
Kommissionspläne für die Urheberrechtsreform sind ein Angriff auf den Hyperlink
Den am 14. September von EU-Kommissar Günther Oettinger präsentierten Plan für die EU-Urheberrechtsform kommentiert Julia Reda, Europaabgeordnete der Piratenpartei, wie folgt:
"Kommissar Oettingers rückschrittliche Pläne wären eine Katastrophe für das Internet. Er hat die Urheberrechtsform von Wirtschaftsinteressen vereinnahmen lassen und die Bedürfnisse von Künstlern und Nutzern ignoriert. Der zum Scheitern verurteilte Versuch, das Internet an analoge Geschäftsmodelle anzupassen, wird verheerenden Kollateralschaden anrichten."
"Das geplante EU-Leistungsschutzrecht schränkt die Meinungsfreiheit ein und schadet sowohl kleinen Verlagen als auch innovativen Startups. Dabei ist bereits absehbar, dass letztendlich niemand davon profitieren wird: Internetplattformen und deren Nutzern werden aufhören, mit Anreißern oder Vorschaubildern auf europäische Nachrichtenseiten zu verlinken, wenn diese lizenzpflichtig werden. Mautstationen auf den Zubringern zu europäischen Zeitungsartikeln zu errichten, wird aber nicht sinkende Einnahmen aus dem Zeitungsverkauf wettmachen, sondern vielmehr auch ihre Digitalangebote sabotieren."
"Oettingers Beteuerung, Endverbraucher hätten nichts zu befürchten, ist irreführend. Auf sozialen Netzwerken geteilte Links beinhalten heutzutage automatisch einen Anreißer, der dem Vorschlag zufolge künftig lizenzpflichtig wäre selbst 20 Jahre nach Veröffentlichung des Artikels. Eine Ausnahme für Privatpersonen ist nicht vorgesehen. Es wäre somit illegal, ohne Lizenzvereinbarung einen Zeitungsartikel von 1996 bei Facebook zu verlinken. Juncker strafte Oettingers Dementi sogar in seiner Rede zur Lage der Union Lügen: Er forderte darin Einnahmen für Verlage, "egal ob [ihre Inhalte] per Kopiermaschine veröffentlicht oder im Netz verlinkt werden."
"Das Europaparlament hat ein EU-Leistungsschutzrecht in seinen Beschlüssen zum digitalen Binnenmarkt bereits mehrmals abgelehnt. Das muss es nun wieder tun. Abgeordnete aller Fraktionen haben bereits unisono Widerspruch angekündigt."
"Es bleibt aber nicht nur beim Angriff auf den Hyperlink: Neue Pflichten für Internetseiten, auf denen Nutzer Inhalte hochladen können, könnten sowohl für europäische Startups als auch Community-basierte Plattformen wie Wikipedia zur Existenzbedrohung werden. Vizepräsident Ansips Ankündigung, das diskriminierende Geoblocking müsse abgeschafft werden, bleibt unerfüllt: Digitale Binnengrenzen werden weiterhin zahlungswillige Europäern von Online-Videotheken aussperren. Die Stimmen einer halben Million Menschen, die die Panoramafreiheit für ganz Europa forderten, wurden ignoriert."
"Der einzige Lichtblick sind die vorgeschlagenen Vereinfachungen für Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen sowie Archive. Doch weder diese noch die auf den letzten Drücker aus dem Hut gezauberte Idee von öffentlichem WLAN in europäischen Städten können die katastrophalen Pläne aufwiegen." (Piratenpartei: ra)
eingetragen: 18.09.16
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